Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema
ADHS/ADS. In unserer Familie sind mehrere Mitglieder betroffen, und auch ich
selbst habe eine Diagnose.
Ich bin ehrenamtlich eingebunden, in „meinem“ Verein
Springer für Notfälle, Forenmitglied mit erweiterten Berechtigungen, war
Elternbeirat und Vorstand an der ersten und bisher einzigen Schule Deutschlands
für ADHS’ler, gehöre zu den Urgesteinen dieses
Projekts, wir haben bei zwei (seriösen) TV-Dokumentationen mitgemacht, sprich:
ADS/ADHS ist quasi mein zweiter Vorname.
Leider muss ich feststellen, dass trotz aller Aufklärungsarbeit
und seriöser Forschung in den letzten zehn Jahren eher ein Rückschritt als eine
Verbesserung eingetreten ist. Die Themen wiederholen sich nach wie vor
(angebliche Fehldiagnosen, angebliches Ruhigstellen mit Drogen,
Erziehungsunfähigkeit, blablabla). Immer stärker drängen Gruppen oder „Spezialisten“
auf den Markt, die vor allem eines wollen: Geld verdienen. Je schwieriger das
Schulleben für betroffene Kinder wird – und das wird es, denn selbst die
geringste Abweichung von eng gesetzten Normen gilt heutzutage als Auffälligkeit
und wird sofort reklamiert, teilweise bereits im Kindergarten – desto größer
wird der Druck auf Eltern. Es ist völlig verständlich, dass diese in ihrer
Verzweiflung alles versuchen, ihr Kind „passend“ zu machen, und natürlich fängt
man zunächst mit harmlosen Dingen an.
Wenn aber Ergotherapie, Konzentrationstraining bei
irgendwelchen „Beratern“, merkwürdige Nahrungsergänzungspillen und der
Heilpraktiker keine deutliche Besserung bringen, und eine korrekte Diagnostik –
NICHT innerhalb von einer Stunde – durchgeführt wurde, dann sollte man endlich eine
Behandlung jenseits von netten Versprechungen anstreben. Das muss nicht immer
zur Gabe von Medikamenten führen, aber wenn diese indiziert sind, lohnt es
sich, sich fern jeder Ideologie zu informieren. Ebenso sollte eine
Verhaltenstherapie bei einer Fachkraft (Kinderpsychologie, Kinderpsychiatrie) durchgeführt
werden, am besten mit Spezialisierung auf ADS/ADHS. Leider gibt es viel zu
wenige Fachleute, ich kenne aus eigener Erfahrung und aus meinem Umfeld viele
Fälle von Fehldiagnosen und falscher Behandlung. Eine systemische
Familientherapie ist eben bei ADHS nicht die erste Wahl, aber wenn man bei
einem Systemiker landet, kann es passieren, dass man zwei Jahre lang sein
tiefenpsychologisches Verhältnis zu Mann und Kind analysiert, das betroffene
Kind aber komischerweise trotzdem mit seinem ADHS nicht besser klarkommt.
Das gefällt aber weder „Lerntherapeuten“, die oft nur
Kindergartenerzieher mit Wochenendweiterbildung sind, noch dem Ponyhof, der für
einen irren Preis therapeutisches Reiten als Allheilmittel anpreist, noch den
Verkäufern von Vitaminen, Fischölen, Algen, Homöopathika, schrillen Buchautoren
und sektenähnlichen Heilsversprechern.
Es geht um Geld, und mit den Sorgen der Eltern lässt sich
viel verdienen.
Ich habe in den letzten Monaten dazu sehr erschreckende
Dinge miterlebt. Plötzlich war ich Zielscheibe von Angriffen, mit denen ich so
nicht gerechnet habe, und ich habe Dinge gesehen, die mich sehr entsetzt haben. Zeitweise habe ich mich komplett zurückgezogen, und
sogar meinem Verein angekündigt, dass ich aussteige. Nachdem ich mich jetzt
aber weitgehend von den Vorfällen erholt habe, kremple ich wieder die Ärmel
hoch. Es kann nicht sein, dass unseriöse Menschen und Gruppierungen
hilfesuchende Menschen und deren Kinder ausnutzen und teilweise richtig
kaputtmachen.
5 Kommentare:
oha, das hört sich aber schlecht an. Solche Idioten gibt es leider zu Genüge
Übrigens es gibt in Deutschland schon mehrere Schulen, die sich auf ADHS und ADS spezialisiert haben - wie auch auf der, bei der wir sind.
Drücke Dir die Daumen und was nun?
LG Mella
Ja, Mella, es gibt zum Glück mehrere Schulen, die gut auf ADHS'ler eingestellt sind. Die HEBO-Schule von Hans Biegert (ein toller Typ - seine Vorträge sind klasse !) zum Beispiel gibt es schon seit Ende der Siebziger. Aber es gibt nur ein Gymnasium, das speziell für ADHS'ler gegründet wurde und nach einem besonderen Konzept arbeitet, das von Cordula Neuhaus an der damaligen sogenannten "Mini-Notschule" ausgearbeitet wurde.
Cordula Neuhaus hat nichts mehr mit dieser Schule zu tun (leider !), und das Konzept.... wichtige Elemente daraus werden nicht mehr umgesetzt, von anderen Dingen mal ganz abgesehen :-(
Echt schade und ja, den Biegert kenne ich auch, war schon zwei mal in Wasserburg und jedes mal wieder absolut Klasse!
Schade, dass es sich bei Euch so negativ entwickelt hat. Das ist wohl immer die gefahr, wenn ein großer Träger dahinter steckt, sondern nur Elterninitiative, merke es am Förderverein. Kompliziert bis zum geht nicht mehr, dazu umständlich und blockiert sich oft genug selbst....
Schade, oder?
Toller Beitrag
Ohne auf die Entwicklung an den Schulen eingehen zu können (aus Unkenntnis) finde ich den Beitrag wirklich gut! Ausgewogen, informativ und ohne ideologische ADS-Brille. Vor 10 Jahren hat Frau Neuhaus das Vorwort zu meinem ADS Buch geschrieben - eine Pionierin der ersten Stunde. Ich verfolge die Entwicklung auch und kann mich nur anschließen. Es hat sich kaum etwas getan, das Thema wird immer mal wieder aus der Pädagogenkiste gezogen (gerne auch im Sommerloch), aber Hilfe für die Familien gibt es eigentlich immer noch nicht.
Ein Wort zu den Lerntherapeuten: Es gibt auch sehr gute ;-))
Uta Reimann-Höhn
www.lernfoerderung.de
Danke, Frau Reimann-Höhn, für das Kompliment !
Ihr erwähntes Buch steht bei mir schon seit Jahren im Regal. Und selbstverständlich habe ich ausdrücklich die Schmalspurlerntherapeuten gemeint mit der Kritik. Es gibt auch gute und kompetente Lerntherapeuten, die im Idealfall die Verhaltenstherapie wunderbar ergänzen.
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