Freitag, 15. Februar 2008

Bruno





Wir haben Bruno in einem Tierheim hier in der Gegend gefunden. Nach monatelangen Überlegungen, was für einen Hund wir denn nehmen sollten, und woher (Züchter ? Welche Rasse denn nur ? Tierheim ?) entdeckten wir ihn auf der Homepage des Tierheims, fuhren hin, lernten ihn kennen und wussten – der oder keiner !

Bruno kommt eigentlich aus Italien. Das Tierheim hier arbeitet mit befreundeten Tierheimen im Ausland zusammen, teilweise durch finanzielle und materielle Unterstützung der „Kollegen“, überwiegend aber dadurch, dass Tiere hierher geholt und vermittelt werden. Darüber hinaus gibt es in diesem Tierheim keine Zwingerhaltung (es gibt Zwinger, aber nur für bestimmte Notfälle). Die Hunde dort leben in verschiedenen Gruppen im Freilauf zusammen, sind abends in den Räumen eines großen Wohnhauses untergebracht.

Das war für uns mit ein Grund, einen Hund von dort zu holen. Wir gingen davon aus, dass die Hunde dort weniger „traumatisiert“ durch einen langen Zwingeraufenthalt mit nur ganz wenig Ausgang sind als die Hunde in den klassisch geführten Tierheimen (Inzwischen kenne ich auch ein sehr gut geführtes „konventionelles“ Tierheim, das ich uneingeschränkt weiterempfehlen kann) . Woher unser neuer Hund kam, war uns letzten Endes völlig egal, auch bei „deutschen“ Hunden ist die Vorgeschichte oft unklar, es wird oft bei der Abgabe gelogen, auch diese Hunde haben schlimmes erlebt und sind genauso ein Überraschungsei wie Auslandshunde.

So war unser allgemeiner „Wissensstand“.

Über Brunos Vorgeschichte war nichts bekannt. Man sah, dass sein Vorderbein wohl einmal gebrochen war, denn es hatte einen Knick, machte ihm aber keinerlei Beschwerden. Da er sehr freundlich zu Menschen ist, ging das Tierheim davon aus, dass er zumindest eine Zeitlang bei einer Familie gelebt haben könnte. Man schätzte man ihn auf 2,5 Jahre. Dass ein Spitz mitgemischt haben muss, sah man am Gesicht und an der spitztypischen Rute. Inzwischen wissen wir auch, dass sein Charakter sehr spitztypisch ist. Seine Verträglichkeit mit anderen Hunden schien klar, denn im Rudel kam er gut zurecht.

Wir gingen mehrmals mit ihm spazieren. Dass er an der Leine zog, war klar, da bestand noch Lernbedarf. Ansonsten war alles ganz nett mit ihm auf diesen Spaziergängen weit außerhalb jeder Ortschaft, idyllisch im Grünen.

Wir holten Bruno zu uns, es stand völlig außer Frage, dass dieser Hund ganz genau zu uns passte.

Und dann lernten wir in Windeseile alles, was wir bisher noch nicht über Tierschutzhunde im Allgemeinen und Straßenhunde im Besonderen gewusst hatten, weil wir sehr naiv dachten, Hundeerfahrung sei vorhanden, Geduld habe ich, Hundeschule ist selbstverständlich, Pannen nehmen wir mit Humor – kann da wirklich etwas schief gehen ?

Bruno kam zu uns, es war Frühling. Er entdeckte unsere Kaninchen im Freigehege im Garten, und tickte komplett aus. Er versuchte völlig hysterisch, den Zaun des Geheges zu zerfetzen, bellte den halbe Ort zusammen, war nicht mehr zu beruhigen. Der freundliche Spitzmix verwandelte sich in ein wild schäumendes Monster, die Kaninchen standen kurz vor dem Herztod.

Anfangsschwierigkeiten, wir holten ihn herein, mussten dann sogar den Rolladen an der Terrassentür herunterlassen, weil er fast durch die Scheibe sprang vor Aufregung, und stellten fest: Ein ehemaliger Straßenhund hat gelernt, für sein Fressen selbst zu sorgen. Kaninchen sind Beute, Bruno wusste ja noch nicht, dass er ab sofort ganz regelmäßig und ohne Kampf mit anderen Hunden ausreichend Futter bekommen würde.

Dann kam der erste Spaziergang. Wir wohnen in einer Kleinststadt, in einer 30er-Zone, die Straße ist sehr kurz und wird eigentlich nur von Anliegern befahren. Gegenüber von uns wohnt ein riesiger Mischlingshund, sieht aus wie ein zu groß gewordener Schäferhund, ist aber keiner. Er ist gut erzogen, lebt in einer Familie, ich mag ihn, aber anlegen würde ich mich lieber nicht mit ihm *g*. Ich leinte Bruno an, verließ das Haus, und wie so oft lag Nachbarshund am Hoftor und döste. Dann musste ich wieder dazulernen:

Bruno tickte aus. Völlig aus. Er versuchte zähnefletschend, auf den erstaunten Nachbarshund loszugehen, zerrte an der Leine, schäumte vor Aufregung. Spontan griff ich nach seinem Halsband – falsche Entscheidung, Bruno biss mich so heftig in den Arm, dass ich eine lange, blutende Wunde abbekam. Die war zum Glück nicht tief, und ich bemerkte sie in dem Moment gar nicht, aber ich schimpfte Bruno kurz und heftig und ging ins Haus zurück.

Ein eigentlich freundlicher Hund, der beißt, in einer Familie mit Kindern ? Undenkbar. Am nächsten Tag sorgte ich für den Hausbesuch einer Hundetrainerin, die sich die Situation vor Ort ansah. Sehr schnell teilte sie meine Vermutung, dass Bruno nicht die geringsten Aggressionen gegen Menschen zeigt, aber wohl ein Problem mit anderen Hunden hat. An der Leine kann er nicht ausweichen, daher „muss“ er so austicken, es ist ein reines Angstkläffen.

Einige Zeit trainierte ich mit der Trainerin in Einzelstunden. Bruno kannte keinerlei Erziehung und war durchaus auch bockig. Leider hatte die Trainerin keine Gruppen, so dass wir die Verträglichkeit mit anderen Hunden nicht verbessern konnten, und ich wechselte zu einer Hundeschule – anderes Thema.

Zuvor aber mussten wir noch einige andere Macken von Bruno kennenlernen: Sein gebrochenes Bein dürfte von einem Fahrzeug, entweder Transporter oder Traktor, verursacht worden sein, denn Autos kläfft er oft an, Kleintransporter oder LKW’s hasst er intensiv, bei einem Traktor, und sei er noch so weit weg, dreht er völlig durch.

In der Praxis hatten wir also einen Hund, der unsere Kaninchen fressen wollte, alles Fressbare, das er irgendwo fand, sofort vernichtete, auf dem Weg zu unserem Auslaufgebiet selbst in der 30er-Zone Autos zu töten versuchte, der bei Hundebegegnungen an der Leine den Kampfhund gab und daher wirklich der „ideale“ Begleiter war.

Im Haus dagegen war er fast von Anfang an sehr friedlich, er liebte vor allem die Kinder, war aber so gut wie gar nicht zum Spielen zu animieren.

Jetzt, vier Jahre später, nach wirklich andauernder und intensiver Arbeit mit ihm, mit und ohne Trainer, sind wir wieder am Ausgangspunkt. Eine Zeitlang war es besser mit ihm, er schien echtes Vertrauen aufzubauen, wir sahen winzige Fortschritte. Von dem Gedanken, dass wir auch aus diesem Hund einen ganz „normalen“ Begleiter machen könnten, haben wir uns längst verabschiedet, wir betreiben nur noch Schadensbegrenzung, selbst das erfordert ein tägliches „Dranbleiben“. Jetzt ist Bruno schwer krank, dadurch noch unsicherer, und dadurch auch noch viel angstaggressiver als früher, er betrachtet fast alles außerhalb des Hauses als Bedrohung.

Ist Bruno nun ein Glückspilz, weil er vermutlich von Italiens Straßen gerettet wurde und zumindest die letzten Jahre seines Lebens Sicherheit und Liebe erfahren durfte, oder lebte er als Straßenhund nicht einmal so schlecht ? Ich bin mir nicht ganz so sicher, was seine Seele betrifft, aber eindeutig ist die futtertechnische und medizinische Versorgung hier besser für ihn. Er war von Anfang an krank, hatte in den ersten Monaten bei uns Husten, Milben, immer wieder Infekte, ohne Behandlung hätte er mit ziemlich unangenehmen Beschwerden leben müssen.

Wir haben sehr viel über Hunde dazugelernt, zwangsläufig. Ich habe meterweise Fachliteratur gelesen auf der Suche nach einer Methode, die diesen unsicheren Hund etwas ruhiger machen könnte. Ich habe diverse Hundetrainer mit sehr unterschiedlichen Ansätzen erlebt, aber die ultimative Hilfe für einen so traumatisierten Hund nicht gefunden. Jetzt läuft unsere Zeit ab, wir versuchen, die letzten Tage oder Wochen gemeinsam zu genießen, und
sind unglaublich zornig auf all die Menschen, die Tiere so quälen und schinden, dass sie so ein Leben führen müssen und nie wieder wirklich unbeschwert sein können !

So gesehen ist Bruno ein bedauernswerter Pechvogel.


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