Schon im letzten Jahr gab es Hinweise darauf, dass sich unter meinen Kunden ein Messie befindet. Ein Handwerker musste die Wohnung
betreten, was erst nach Einschaltung eines Anwalts und mit erheblichen
Drohungen gelang. Dieser Servicetechniker rief mich nach seinem Einsatz
vollkommen aufgelöst an und berichtete mir von geradezu unglaublichen
Zuständen.
Es gab Gespräche, eindringliche Gespräche. Es gab eine
letzte Frist, und tatsächlich kam ein Container. Ich war erleichtert. Der Kunde
berichtete mir ausgiebig, dass seine Wohnung geräumt sei, und leider glaubte
ich ihm. Der Schutz der Privatsphäre ist mir wichtig, die Unverletzlichkeit der
Wohnung ein Grundrecht, und ich hatte ja durch die Containerbestellung einen
Grund zu Annahme, dass das schlimmste Chaos beseitigt sein würde. Wie „schön“
und ordentlich oder eben chaotisch jemand wohnt, geht mich nichts an, solange
keine Maden ins Treppenhaus kriechen. Daher verzichtete ich auf eine
Kontrollbesichtigung der Wohnung.
Bis vor einigen Tagen hatte ich die Angelegenheit abgehakt.
Dann aber erzählte mir die Bewohnerin der Wohnung unter dem unordentlichen
Herren von seltsamen Rissen in der Zimmerdecke. Ich möge mir das bitte
anschauen.
Das war nun ein erhebliches Alarmzeichen vor dem
Hintergrund, dass der Messiekunde vor allem Zeitungen hortete. Stapelweise
Zeitungen, deckenhoch. Die Fenster können nicht mehr geöffnet werden. Papier
ist schwer, Papier in solchen Unmengen kann ein Statikproblem sein. Ich war nun
sehr, sehr besorgt.
Um es abzukürzen: Der Kunde gab zu, dass eigentlich nur sein
Keller ein wenig geräumt worden war, nicht aber die Wohnung. Mit Unterstützung
durch den Anwalt und der Hilfe eines Sozialarbeiters konnte der Zugang
erzwungen werden, um mit eigenen Augen grob zu sehen, wie dringend man handeln
musste. Denn der Statiker hat selbst in einem eiligen Fall einige Wochen
Vorlaufzeit, und der Gedanke an eine durchgebrochene Decke ließ mich nicht mehr
schlafen.
Es ist eine Sache, im Fernsehen Messie-Wohnungen zu sehen,
aber es fühlt sich komplett anders an, wenn man ganz real zwischen Bergen von
Müll steht. Der Kunde, ein an sich seriöser älterer Herr mit einem akademischen
Beruf, Single, zurückhaltend, viel auf Reisen, stand verzweifelt zwischen dem
ganzen Unrat und stammelte, er habe schon mit dem Aufräumen begonnen, aber das
alles seien wichtige Dokumente, das müsse er sortieren, das dauere noch einige
Zeit. Wir mussten mit schweren Drohungen verdeutlichen, dass möglicherweise eine
Gefahr für das Leben der Nachbarin besteht und wir eine sofortige Räumung
fordern. Es wurde ein Termin gesetzt, ich hatte die Adresse eines Entrümpelungsunternehmens
dabei und hatte auch schon die Kosten eruiert, mehr können wir momentan nicht
tun.
Als der Kunde langatmig erzählte, er müsse auch die alten Zeitungen
erst noch durchschauen, wagte ich es, von relativ aktuell scheinenden Stapel,
der noch nicht ganz vergilbt und noch nicht deckenhoch war, die oberste Ausgabe
zu nehmen.
Sie stammte vom Sommer 2000.
Wir alle hoffen, dass der Kunde nun wirklich räumen lässt,
aber unser Optimismus hält sich in Grenzen. Messies können sich von nichts
trennen, der Kunde schämt sich zwar offensichtlich, aber er kann den Zustand
nicht ändern. Rein rechtlich können wir auch nur sehr schwierig ein Aufräumen
erzwingen. Erst muss der Statiker bestätigen, wie gefährlich der Schaden an der
Decke ist. Dazu muss der Statiker aber in die Wohnung, und vor allem muss er
den Boden sehen. Dieser ist fast vollständig zugemüllt, es gibt nur einen
winzigen Schleichweg durch die Wohnung, das „Bett“ des Herrn ist eine Art
Kartonstapel . Es ist schrecklich menschenunwürdig, traurig und ja, auch widerlich.
Ich mag diesen Kunden nicht besonders, er ist ein schwieriger
Mensch, der sich über alles und jeden beschwert, auch über den Dreck, den
Kinder angeblich machen – welche Ironie. Aber trotz der geringen Sympathie tut
er mir leid – niemand sollte so vermüllt leben müssen.
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