Dienstag, 26. Oktober 2010

Stuttgart 21 im Kleinen

Das „kleine Stuttgart 21“ ist hier vor meiner Haustür.

Wir wohnen in einem beschaulichen schwäbischen Kleinstädtchen mit rund 13.000 Einwohnern. Unser Haus liegt im alten Ortskern, es handelt sich um ein idyllisches verkehrsberuhigtes Wohnviertel, sehr zentral gelegen, aber trotzdem weg von der Hauptverkehrsstraße. Viele der Häuser sind sehr alt. Renoviert werden sie, wenn junge Familien sie von den Erben kaufen und nach und nach modernisieren, aber viele Gebäude verfallen zunehmend, weil die Eigentümer schon sehr alt und desinteressiert an weiteren Maßnahmen sind oder sich keine Modernisierung mehr leisten können oder wollen.

Nun hatten wir das scheinbare Glück, offiziell zum Sanierungsgebiet erklärt zu werden. Die Gemeinde bekommt von Bund und Land Zuschüsse zur Straßensanierung, die Eigentümer bekommen Zuschüsse für energetische Modernisierungen. Zunächst haben wir uns zwar geärgert, weil wir fast alles schon in den letzten Jahren gemacht haben und besser nicht ausrechnen, wie hoch der Zuschuss ausgefallen wäre, hätten wir noch gewartet. Aber es steht trotzdem noch die eine oder andere Modernisierung an, man muss nach vorne schauen.

Um es abzukürzen: Nach und nach stellten wir Bewohner hier fest, dass wir uns mitten in einem Etikettenschwindel befinden. Die Zuschüsse wurden im ersten Jahr schon unter der Hand zugesagt an Menschen mit besonderen Kontakten – Maultaschenmafia eben. Die Konditionen für die Förderung sind so gestaltet, dass nur die Klientel der Erben sich das leisten kann. Denn es reicht nicht, „nur“ eine neue Heizung für 20-30 TE einzubauen und die Fenster zu sanieren, nein, es wird eine Komplettsanierung auf einen Schlag gefordert, fast jeder hier käme auf einen sechsstelligen Investitionsbetrag.

Wer diese Summe mal eben aufbringen kann, obwohl er sein Haus erst in den letzten 5-10 Jahren gekauft hat, der dürfte die Ausnahme sein, üblicherweise sanieren Altbaukäufer nach und nach. In der Presse aber sind wir hier die Lottogewinner, deren Haussanierung zu einem großen Teil von der öffentlichen Hand bezahlt wird.

Die Zuschüsse gehen jetzt an die Ureinwohner und die Erben. Die haben in der Regel gleich mehrere Gebäude im Familienbesitz, einen Teil davon vermietet, aber nicht saniert, und können jetzt zuschlagen.

Am Ende der offiziellen Sanierungszeit wird abgerechnet. Das wird nicht laut kommuniziert, nein, nach außen betont man gerne, dass die Sanierung der Gehwege für die Anwohner vollkommen kostenlos sei – und wieder beneiden uns die Bewohner anderer älterer Wohngebiete. Man vergisst dabei das Kleingedruckte: Wenn dann nämlich hier alles ganz neu und hübsch aussieht, dann werden die Grundstücke neu bewertet, ein neuer fiktiver Bodenwert festgesetzt, und die Differenz den Anwohnern in Rechnung gestellt. Auch denen, die keine Sanierungszuschüsse erhalten haben – selber schuld, wenn man wahlweise bockig oder scheinbar verarmt ist.

Ich habe mich von Anfang an in dem Ausschuss beteiligt, in dem Bürger bei der Gestaltung mitwirken können. Es war sehr ärgerlich und ein Lehrstück, warum Politikverdrossenheit zunimmt. Bei der letzten Sitzung war ich krank, was ich sehr bedauert habe. Ich wäre ausgerastet, das ist wirklich die Höhe:

Die ganzen Planungen macht nicht die Stadt selbst, sondern eine Stadtplanungsfirma. Kostet wahrscheinlich nicht wirklich was…… Jetzt aber ging es um die Neugestaltung eines eher kleinen Spielplatzes und die Anpflanzung von Bäumen. Dafür hat man weitere Fachleute engagiert: Einen Landschaftsbauer und ein Architekturbüro. Die arbeiten vermutlich ehrenamtlich ?

Diese Experten hatten eine geniale Idee: Aus dem kleinen Spielplatz – Sandkasten, Rutsche, großes Klettergerüst und ein paar Bänkchen – wird nun ein:
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„generationsübergreifender Seniorenspielplatz !


So steht es ernsthaft im Protokoll !

Das Architekturbüro hat zwei Entwürfe vorgelegt, es soll drei Bereiche geben: Spielgeräte für Kinder (jetzt über den ganzen kleinen Platz verteilt, künftig auf ein Drittel der Fläche reduziert), eine Ruhezone mit Sitzbänken als Trennlinie, und der Seniorenspielbereich in Form einer Boulebahn.

Für das Geld, für das Herr Dr. Bin.ich.toll von der Planungsfirma und Herr Architektengenie ein paar Bäume und ein paar Parkplätze geplant haben, könnte man vermutlich sehr viele Gehwegmeter neu gestalten – aber ich denke da wohl zu sehr wie eine schwäbische Hausfrau….

3 Kommentare:

Mella hat gesagt…

Ja und dann geht es Euch wie uns, der Seniorenspielplatz wird nicht angenommen.
Wenn es sogar 11-jährigen auffällt, das hier etwas im Argen liegt, dann ist da wohl schon einiges faul.
Der Große hat sogar einen Film darüber gedreht.

Frau Mahlzahn hat gesagt…

Ach Du, Sch*eixe! Ist das arg!

Gibt's nicht irgendwelche kritischen Medien, die das aufgreifen können?

Unglaublich, so was!

Das muss doch auffallen, so krass ist das!

So long,
Corinna

AnJu hat gesagt…

Ja, irgendwas läuft hier in Schwaben schief. Eine Bekannte von mir, hat ihren Bauplatz, auf dem eine von ihr gewählte Firma ihr Häuschen bauen wollte, nur deshalb gekriegt, weil der Bürgermeister, der immer alles an eine bestimmte Baufirma vergibt, in Urlaub war.