Um uns herum werden zunehmend fünfzigste Geburtstage gefeiert, und auch wir sehen die Fünf schon leise um die Ecke grinsen. Das
bedeutet allerdings zwangsläufig, dass die Elterngeneration – unsere eigenen
und die der Freunde, und die Onkel und Tanten, zwangsläufig inzwischen alt bis
sehr alt sind. Mein Vater wurde kürzlich siebzig, bei meiner Mutter steht das
nächstes Jahr an. Sie waren recht junge Eltern, haben mich mit Anfang
zwanzig bekommen, was damals üblich war. Zum Glück sind sie zu zweit und wohlhabend,
können mailen und im Internet surfen und einkaufen, was auch immer ihnen
gefällt. Wir haben kaum Kontakt, und ich schiebe den Gedanken daran, dass sie
irgendwann Unterstützung benötigen werden, meistens weit weg. Sie werden sich
locker eine luxuriöse Pflege leisten können, und, siehe oben – noch sind sie zu
zweit.
Meine Schwiegermutter ist älter, da sieht man schon den
Achtzigsten am Horizont. Sie lebt schon sehr lange alleine, ist aber trotzdem
sehr unselbständig. Ihr ganzes Leben wird schon immer von anderen Menschen
geregelt, sie stellt sich gerne hilflos an und hat auch keinerlei Interesse
daran, selbst klarzukommen. In den letzten Monaten hat diese Hilflosigkeit in
Kombination mit Alterserscheinungen stark zugenommen und unter anderem dazu
geführt, dass sie bei ihren Kindern regelrechten Telefonterror macht. Fast
täglich fällt ihr irgend etwas ein, was sie ganz dringend braucht.
Nur, weil man gestern für sie in der Apotheke war, heißt das ja nicht, dass man
nicht heute unbedingt sofort noch den Aspirinvorrat auffüllen könnte.
Arztbesuche und damit verbundene Taxidienste nehmen ein unerträgliches Ausmaß an. Es geht übrigens nicht um wirkliche Krankheit,
sondern fast immer um leichte Infekte oder Befindlichkeitsstörungen, denn der
ärztliche Ratschlag ist meistens, sie solle sich eben etwas schonen und Tee
trinken.
Hartnäckig telefoniert sie so lange und so penetrant
hinter ihren Kindern her, besonders dem Göga, weil er durch Schichtdienst immer
wieder auch tagsüber daheim ist, und dem Schwager, der um 16.00 Uhr Feierabend
hat, bis sich doch einer erbarmt und sie zu den Arztterminen fährt. Ein Taxi
lehnt sie ab. Wir würden es sogar bezahlen, aber nein, sie wünscht von ihren
Kindern gefahren zu werden. Wer sie fährt, muss dann im Wartezimmer warten, bis sie fertig ist und nach Hause chauffiert werden darf.Telefonate dauern endlos, weil sie, die schon immer
sehr viel geredet hat, nun vollkommen grenzenlos plappert. Sie würde nicht bemerken,
wenn man auflegen würde, sie interessiert sich auch nicht für noch so klare
Ansagen, dass man gerade keine Zeit habe, sie ist sehr, sehr anstrengend. Wir
haben aber selbst alle ein mehr oder weniger ausgefülltes Leben mit Beruf und
Familie, wir können und wollen nicht andauernd auf Zuruf vorbeikommen, das geht
einfach nicht. Göga und sein Bruder sind jeweils ein bis zwei mal pro Woche bei ihr, ich denke, sie müssen
kein schlechtes Gewissen haben. Die Schwägerin hat eine längere Anfahrt und
kommt meistens am Wochenende, zwischendurch liefere auch ich die gewünschten
Dinge ab, vernachlässigt wird Schwiegermutter also definitiv nicht.
Viele meiner Kunden sind inzwischen achtzig Jahre und
älter. Im Prinzip bin ich sehr nachsichtig mit ihnen, auch wenn sie das dritte
Mal anrufen aus Tüdeligkeit, weil sie die anderen Anrufe vergessen haben. Ich
freue mich über einige sehr fitte und charmante alte Menschen, die sogar oft
mailen können, sich noch für vieles interessieren und spannende Gesprächspartner
sind. Trotzdem sind es eben vor allem Kunden, und es gibt Phasen, da sprengen
sie fast den Geschäftsbetrieb. Sie besuchen mich mal eben, weil ihnen
langweilig ist, und finden kein Ende. Sie melden mir jede noch so unwichtige
Kleinigkeit. Ich weiß genau, wer welche Putzmethoden hat, bin über alle Urlaube
der Rentner und der Nachbarn informiert, kenne den Termin der nächsten
Darmspiegelung, und ich kann mich darauf verlassen, dass jeder Handwerker
strengstens überwacht wird. Was schon dazu geführt hat, dass mehrere Firmen
sich in bestimmten Häusern über penetrante Rentner beschwert haben, die ihnen
gesagt haben, wie sie zu arbeiten hätten – schließlich war jeder von uns schon
mal in einem Baumarkt und ist daher Fachkraft, und man sieht es regelmäßig im
Fernsehen, dass man aufpassen muss, überall wird man betrogen.
Ein kurzer Plausch wegen einer Nichtigkeit kostet weit
mehr als „nur“ die reine Gesprächszeit. Man unterbricht eine andere Arbeit,
muss sich anschließend erst wieder eindenken, kann je nachdem, was gerade
anstand, eine Sache nicht wie geplant zu Ende bringen – und das nur, weil Herr
XY anruft und fragt, ob man besser diese Woche oder doch erst nächste Woche den
Gärtner kommen lassen solle. Er sei ja gestern beim Arzt gewesen, und der
Erwin, der hat erzählt, seine Hecke würde erst in zwei Wochen geschnitten, aber
Gerda findet, dass……. und so weiter.
Sehr schwierig wird auch bei einigen Menschen eine
gewisse Wesensveränderung im Alter. Viele werden sehr misstrauisch, tyrannisch
und böse. Sie merken es nicht, denke ich, und es ist meistens keine Absicht,
aber es ist unangenehm für alle Beteiligten. So habe ich aktuell mit einer
eigentlich sympathischen älteren Kundin eine schwere Auseinandersetzung: Sie
behauptet, der Dachdecker, der nach dem Hagelschaden das undichte Dach
ausgebessert hat, habe ihre Wäscheleine gestohlen. Sie lehnt jeden Ersatz ab,
nein, sie möchte genau diese Leine zurückbekommen, und sie will, dass er es
endlich zugibt. Fast täglich ruft sie deswegen empört an, hat sogar eine
Anzeige bei der Polizei erstattet – die wiederum mich genervt angerufen und um
eine neue Leine gebeten hat, damit die Frau Ruhe gibt – gibt sie aber nicht.
Nicht selten sagen ältere Wohnungseigentümer sehr offen,
dass diese jungen Leute – gemeint sind alle Menschen unter sechzig – im Prinzip
nichts mit abzustimmen haben, sie hätten die älteren Rechte. Sie wissen auch
alles besser, unbeirrt, egal, ob sich Gesetze geändert haben, das interessiert
alles nicht. Mangels Zeitgefühl rufen sie hemmungslos auch Samstags und
Sonntags an, früh morgens oder spät abends, ganz egal, und ich hatte es auch
schon, dass Herr XY sich beschwert hat, weil ich nicht Samstags zurückgerufen
habe – er hätte schließlich nur eine kurze Frage gehabt. Schwiegermutter wartet
meistens bis acht Uhr, bevor sie anruft,
aber auch nicht immer. Ich bin begeistert, wenn Schulferien sind und um sieben
Uhr das Telefon klingelt…
Ich bin inzwischen so genervt von alten Menschen, dass es
mir wirklich sehr schwerfällt, geduldig und nachsichtig zu sein, und zwar
sowohl beruflich als auch privat.