Dienstag, 15. Oktober 2013

Alte Menschen

Um uns herum werden zunehmend fünfzigste Geburtstage gefeiert, und auch wir sehen die Fünf schon leise um die Ecke grinsen. Das bedeutet allerdings zwangsläufig, dass die Elterngeneration – unsere eigenen und die der Freunde, und die Onkel und Tanten, zwangsläufig inzwischen alt bis sehr alt sind. Mein Vater wurde kürzlich siebzig, bei meiner Mutter steht das nächstes Jahr an. Sie waren recht junge Eltern, haben mich mit Anfang zwanzig bekommen, was damals üblich war. Zum Glück sind sie zu zweit und wohlhabend, können mailen und im Internet surfen und einkaufen, was auch immer ihnen gefällt. Wir haben kaum Kontakt, und ich schiebe den Gedanken daran, dass sie irgendwann Unterstützung benötigen werden, meistens weit weg. Sie werden sich locker eine luxuriöse Pflege leisten können, und, siehe oben – noch sind sie zu zweit.

Meine Schwiegermutter ist älter, da sieht man schon den Achtzigsten am Horizont. Sie lebt schon sehr lange alleine, ist aber trotzdem sehr unselbständig. Ihr ganzes Leben wird schon immer von anderen Menschen geregelt, sie stellt sich gerne hilflos an und hat auch keinerlei Interesse daran, selbst klarzukommen. In den letzten Monaten hat diese Hilflosigkeit in Kombination mit Alterserscheinungen stark zugenommen und unter anderem dazu geführt, dass sie bei ihren Kindern regelrechten Telefonterror macht. Fast täglich fällt ihr irgend etwas ein, was sie ganz dringend braucht. Nur, weil man gestern für sie in der Apotheke war, heißt das ja nicht, dass man nicht heute unbedingt sofort noch den Aspirinvorrat auffüllen könnte. Arztbesuche und damit verbundene Taxidienste nehmen ein unerträgliches Ausmaß an. Es geht übrigens nicht um wirkliche Krankheit, sondern fast immer um leichte Infekte oder Befindlichkeitsstörungen, denn der ärztliche Ratschlag ist meistens, sie solle sich eben etwas schonen und Tee trinken.

Hartnäckig telefoniert sie so lange und so penetrant hinter ihren Kindern her, besonders dem Göga, weil er durch Schichtdienst immer wieder auch tagsüber daheim ist, und dem Schwager, der um 16.00 Uhr Feierabend hat, bis sich doch einer erbarmt und sie zu den Arztterminen fährt. Ein Taxi lehnt sie ab. Wir würden es sogar bezahlen, aber nein, sie wünscht von ihren Kindern gefahren zu werden. Wer sie fährt, muss dann im Wartezimmer warten, bis sie fertig ist und nach Hause chauffiert werden darf.Telefonate dauern endlos, weil sie, die schon immer sehr viel geredet hat, nun vollkommen grenzenlos plappert. Sie würde nicht bemerken, wenn man auflegen würde, sie interessiert sich auch nicht für noch so klare Ansagen, dass man gerade keine Zeit habe, sie ist sehr, sehr anstrengend. Wir haben aber selbst alle ein mehr oder weniger ausgefülltes Leben mit Beruf und Familie, wir können und wollen nicht andauernd auf Zuruf vorbeikommen, das geht einfach nicht. Göga und sein Bruder sind jeweils ein bis zwei  mal pro Woche bei ihr, ich denke, sie müssen kein schlechtes Gewissen haben. Die Schwägerin hat eine längere Anfahrt und kommt meistens am Wochenende, zwischendurch liefere auch ich die gewünschten Dinge ab, vernachlässigt wird Schwiegermutter also definitiv nicht.

Viele meiner Kunden sind inzwischen achtzig Jahre und älter. Im Prinzip bin ich sehr nachsichtig mit ihnen, auch wenn sie das dritte Mal anrufen aus Tüdeligkeit, weil sie die anderen Anrufe vergessen haben. Ich freue mich über einige sehr fitte und charmante alte Menschen, die sogar oft mailen können, sich noch für vieles interessieren und spannende Gesprächspartner sind. Trotzdem sind es eben vor allem Kunden, und es gibt Phasen, da sprengen sie fast den Geschäftsbetrieb. Sie besuchen mich mal eben, weil ihnen langweilig ist, und finden kein Ende. Sie melden mir jede noch so unwichtige Kleinigkeit. Ich weiß genau, wer welche Putzmethoden hat, bin über alle Urlaube der Rentner und der Nachbarn informiert, kenne den Termin der nächsten Darmspiegelung, und ich kann mich darauf verlassen, dass jeder Handwerker strengstens überwacht wird. Was schon dazu geführt hat, dass mehrere Firmen sich in bestimmten Häusern über penetrante Rentner beschwert haben, die ihnen gesagt haben, wie sie zu arbeiten hätten – schließlich war jeder von uns schon mal in einem Baumarkt und ist daher Fachkraft, und man sieht es regelmäßig im Fernsehen, dass man aufpassen muss, überall wird man betrogen.

Ein kurzer Plausch wegen einer Nichtigkeit kostet weit mehr als „nur“ die reine Gesprächszeit. Man unterbricht eine andere Arbeit, muss sich anschließend erst wieder eindenken, kann je nachdem, was gerade anstand, eine Sache nicht wie geplant zu Ende bringen – und das nur, weil Herr XY anruft und fragt, ob man besser diese Woche oder doch erst nächste Woche den Gärtner kommen lassen solle. Er sei ja gestern beim Arzt gewesen, und der Erwin, der hat erzählt, seine Hecke würde erst in zwei Wochen geschnitten, aber Gerda findet, dass……. und so weiter.

Sehr schwierig wird auch bei einigen Menschen eine gewisse Wesensveränderung im Alter. Viele werden sehr misstrauisch, tyrannisch und böse. Sie merken es nicht, denke ich, und es ist meistens keine Absicht, aber es ist unangenehm für alle Beteiligten. So habe ich aktuell mit einer eigentlich sympathischen älteren Kundin eine schwere Auseinandersetzung: Sie behauptet, der Dachdecker, der nach dem Hagelschaden das undichte Dach ausgebessert hat, habe ihre Wäscheleine gestohlen. Sie lehnt jeden Ersatz ab, nein, sie möchte genau diese Leine zurückbekommen, und sie will, dass er es endlich zugibt. Fast täglich ruft sie deswegen empört an, hat sogar eine Anzeige bei der Polizei erstattet – die wiederum mich genervt angerufen und um eine neue Leine gebeten hat, damit die Frau Ruhe gibt – gibt sie aber nicht.

Nicht selten sagen ältere Wohnungseigentümer sehr offen, dass diese jungen Leute – gemeint sind alle Menschen unter sechzig – im Prinzip nichts mit abzustimmen haben, sie hätten die älteren Rechte. Sie wissen auch alles besser, unbeirrt, egal, ob sich Gesetze geändert haben, das interessiert alles nicht. Mangels Zeitgefühl rufen sie hemmungslos auch Samstags und Sonntags an, früh morgens oder spät abends, ganz egal, und ich hatte es auch schon, dass Herr XY sich beschwert hat, weil ich nicht Samstags zurückgerufen habe – er hätte schließlich nur eine kurze Frage gehabt. Schwiegermutter wartet meistens bis acht Uhr, bevor  sie anruft, aber auch nicht immer. Ich bin begeistert, wenn Schulferien sind und um sieben Uhr das Telefon klingelt…

Ich bin inzwischen so genervt von alten Menschen, dass es mir wirklich sehr schwerfällt, geduldig und nachsichtig zu sein, und zwar sowohl beruflich als auch privat.







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